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ChatGPT: Wo war Olaf Scholz?


Foto: Unsplash/rocknrollmonkey

Was muss passieren, damit das Management von Google und Lehrerverbände aus dem gleichen Grund zu Notversammlungen einberufen? Ganz genau: Ein verblüffend gutes KI-Tool muss freigegeben werden, das aus kurzen Schlagwörtern druckreife Texte erstellt. Oder ausführliche Antworten auf kurzen Fragen gibt, für die man sonst erstmal Suchergebnisse durchforsten müsste. Natürlich geht es hier um ChatGPT. Nach gerade mal zwei Monaten konnte der Chatbot über 100 Millionen Nutzer:innen vorweisen. Zum Vergleich: Instagram brauchte hierfür mehr als zwei Jahre, TikTok neun Monate. Noch nie hat eine so breite Masse so unmittelbar die Leistungsfähigkeit des maschinellen Lernens (bewusst) erlebt.


Nicht nur wird im Netz zahlreich über das Ende der klassischen Hausaufgabentexte philosophiert. Auch machen bereits Ideen die Runde, dass KI-Programme bald auch Praxis-Sprechstunden oder gar eine Verteidigung vor Gericht anbieten können. IT-Unternehmen wiederum erhoffen sich durch die Massentauglichkeit einen Dammbruch progressiver, zuvor eher skeptisch gesehener KI-Anwendungen. Doch müssen etliche Berufsgruppen zurecht eine ernsthafte Konkurrenz durch ChatGPT und vergleichbaren Anwendungen fürchten, die vielen Menschen das Schreiben vereinfacht und Antworten auf nahezu allen Fragen geben kann? Und für unseren PR-Blog noch viel wichtiger: Wie wirkt sich das Tool auf die Unternehmenskommunikation der Zukunft aus?

Unbestritten bemerkenswert ist der erste Eindruck der Leistungsfähigkeit von ChatGPT. Egal zu was man das Tool befragt: Die Texte und Antworten wirken erstaunlich menschlich und richtig. Fragen zu sich selbst beantworten ChatGPT etwa mit einer sympathischen Portion Selbstdifferenzierung. Diese Menschlichkeit hat einen guten Grund, der die Funktionsweise von ChatGPT aber auch gleich entmystifiziert: Die Künstliche Intelligenz denkt nicht selbst nach - wie der Begriff impliziert. Tatsächlich bedient sich das Tool an Wortverteilungen, das es aus dem Internet fischt und neu zusammensetzt. Der große Durchbruch ist also nicht das gute Ausdrucksvermögen mit vermeintlicher Allwissenheit. Der Durchbruch ist die Möglichkeit, diese für Menschen unvorstellbar großen Datenmengen mit einer grandioser Detailtiefe zu erfassen und in Massentauglichkeit umzuwandeln. ChatGPT ist vielmehr ein ausgestanztes Spiegelbild dessen, was Menschen zuvor ins Internet geschrieben haben. Und somit genau wie Suchmaschinen oder soziale Netzwerke beeinflussbar und undurchsichtig.

"Der große Durchbruch ist also nicht das gute Ausdrucksvermögen gepaart mit vermeintlicher Allwissenheit."

Auch der Begriff des maschinellen Lernens entzaubert sich beim Blick hinter die Frontpages. Einblicke dazu gibt die Computerlinguistin Emily M. Bender in einem beachtenswerten Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Die Sprachprogramme lernen nicht magisch von selbst. Dahinter steckt viel Arbeit von Entwicklerinnen und Entwicklern – und von Personen, welche die Daten beschriften und sortieren.“ Laut Bender arbeiten diese Personen bislang häufig in Billiglohnländern und unter oft schlechten Arbeitsbedingungen. Hierbei müssen diese häufig Gewaltdarstellungen, Pornografien oder Beleidigungen in Augenschein nehmen und ausfiltern, damit der Chatbot diese Inhalte nicht seinen Nutzer:innen selbst vorzeigt. Sollte dies stimmen, könnte die Nutzung des Tools in Konflikt mit Ethik-Richtlinien von Unternehmen kommen. Und sollten selbstverständlich auch zur privaten Moralfrage werden. Dieses Beispiel zeigt aber auch eindrücklich, dass die KI kein eigenes Urteilsvermögen hat.

Screenshot von ChatGPT vom 14. Februar 2023: Nicht ganz vollständig.

Wer die weiteren Schwachpunkte von ChatGPT freilegen wollte, brauchte ChatGPT bis vor kurzem nur eine Frage stellen: Wie heißen alle Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland? Von Adenauer bis Merkel listete die Anwendung über Wochen fast alle deutschen Regierungschefs einwandfrei auf – und ganz ungefragt, aber praktisch mit den jeweiligen Dienstzeiten versehen. Hier zeigt das Tool durchaus eine wichtige Kompetenz, die gute Kommunikator:innen ausweisen: Vorhersehen, welche Fragen sich Leser:innen womöglich stellen werden um diese dann rasch zu beantworten.

"Hier zeigt das Tool durchaus eine wichtige Kompetenz, die gute Kommunikator:innen ausweisen…"

Aber was war nun mit Olaf Scholz? Dieser fehlte nämlich bis Ende Februar in der Liste. Dies hat einen ganz einfachen Grund: ChatGPT bezieht bislang nur Informationen aus dem Internet bis zum September 2021. Für Scholz' Vereidigung im Dezember 2021 zu spät. Der Fauxpaus ist derweil behoben: Auch den aktuellen Amtsinhaber listet die Anwendung jetzt auf.


Dennoch zeigt sich mit diesem Beispiel, dass ChatGPT nicht immer die vollständigen oder richtigen Antworten geben kann. Eine Prüfung der Ergebnisse ist also nach wie vor notwendig. Profis machen das ohnehin immer. Problematisch ist aber das Nachvollziehen der Quellen. Diese legt ChatGPT bislang nicht frei. Wie auch? Wie oben beschrieben, wertet das Tool Unmengen von Quellen für ein Ergebnis aus. Demnach werden mehrfache Quellenkontrollen weiterhin an das Tagesordnung bleiben – vorausgesetzt, man hat Anspruch auf korrekte und unabhängige Ergebnisse.


Um aber nicht zu befangen zu wirken (schließlich schreibt hier ein Berufskommunikator), muss man hier auf die eigentliche Stärke von ChatGPT hinweisen. Es verspricht eine sehr gute Unterstützung für Recherchen zu werden. Um bei dem Beispiel der Kanzler-Frage zu bleiben: Trotz des fehlendes Scholz hat die KI in Sekundenschnelle eine nahezu vollständige Liste mit Spruch- und Textreife erstellt. Diese Vorarbeit spart wertvolle Zeit. Mit diesem Vorteil im Blick ergibt sich eine Frage, die der Einzug jeder Technologie bringt: Was mache ich mit dem Zeitgewinn? Nutze ich diese für den Feinschliff des Erstentwurfs? Oder produziere ich mehr Texte? Oder begnüge ich mich mit dem Erstergebnis und entspanne mich? Letztendlich muss man sich bei ChatGPT nicht über das Ob fragen, sondern über das Wie.


In der Tat ist der Einzug von ChatGPT nur ein weiterer Schritt einer seit Jahrzehnten stattfindenden Entwicklung. Für Recherchen nutzte man einst Bibliotheken oder Telefonbücher. Heute nutzt man Suchmaschinen im Internet. Statt auf Zettel und Papier nutzte man für das Schreiben irgendwann eine Schreibmaschine. Dieser Text entstand auf einem Computer. Insofern ist das Auslagern der meist zeitaufwendigen Tipperei ein logischer Schritt. Gefahren lauern, wenn man sich blind auf das Erstergebnis des KI-generierten Texts verlässt und Kontrollen sowie Nachbearbeitung auslässt. Bei dieser Nutzungsweise droht womöglich der Untergang in der Mittelmäßigkeit: Bereits jetzt deutet sich in Schulen an, dass Texte von ChatGPT nicht unbedingt aus der Masse herausstechen können. Nachgefragt nach dem Einfluss des KI-Tool auf den Unterrichtsalltag gibt es bereits mehrere Stimme von Lehrer:innen, denen es schnell auffällt, wenn Aufsätze sich mit Aufbau, Formulierungen und Thesen kaum voneinander unterscheiden.

"Letztendlich muss man sich bei ChatGPT nicht über das Ob fragen, sondern über das Wie."

Ähnliche Berichte hörte man zum Ende der 2010er-Jahre, als immer mehr Schüler:innen und Student:innen auf Wikipedia aufmerksam geworden sind. Mittlerweile hat die Online-Enzyklopädie einen guten Ruf als Erstanlaufstelle für Recherchen. Nirgendwo sonst kann man sich zu so vielen Themen einen ersten Eindruck verschaffen und im Bedarf noch weiter eintauchen – weiterführenden Links sei Dank. Dass die Wikipedia-Einträge samt genannter Quellen einer Überprüfung bedürfen und bloßes Copy & Paste schnell enttarnt werden kann, ist derweil in Klassenräumen und Hörsäalen längst bekannt. Ein ähnliches Anlernen eines vernünftigen Umgangs mit ChatGPT ist somit durchaus erwartbar.


Aus dem Alltag eines PR-Beraters kann ich sagen, dass die Produktion eines guten Textes weniger mit dem buchstäblichen Tippen von Wörtern zu tun hat als man meint. Tatsächlich ist das Schreiben an sich nur ein kleiner Part eines umfangreichen Prozesses ist, der etwa eine gute Pressemitteilung entstehen lässt: Vorab wurde mit dem Kunden etwa ein Kommunikationskonzept erstellt, bei dem mit großen Aufwand Zielgruppen, Wordings, Kernbotschaften und Hauptthemen identifiziert worden sind. Diese werden ständig evaluiert und angepasst. Auch müssen Versandverteiler erstellt und geeignetes Fotomaterial organsiert werden. Oder die Frage geklärt werden, wer ein gutes Zitat liefern kann und ob das Thema gerade gut ins Zeitgeschehen passt. Es gilt also erstmal überhaupt zu wissen, was man wie an wen und womit kommunizieren will. Ebenso nützt ein guter Haupttext nicht, wenn Schlagzeile und Vorspann nicht mit wenigen Sätzen zum Punkt kommen und einige Durchschlagskraft besitzen. Das Verhältnis zwischen Überlegen, Tippen, Drücken der Löschtaste und Stehenlassen steht hier sehr unvorteilhaft für das Letztgenannte. Kreativität und Einfallsreichtum ist hier Trumpf. Ein aus bestehenden Wörterfolgen entstandenes Ergebnis scheint hierfür nicht vielversprechend – kann aber eben genau dafür wertvolle Zeit gewinnen. Und da hier mehrfach der Begriff Intelligenz fiel: Was nützt das, wenn man am Ende keine Empathie für Adressat:innen hat?

"[…]. Somit verspricht ChatGPT sogar einen kulturellen Gewinn."

ChatGPT wird durchaus das Niveau von Texten anheben. Wahre Innovationskraft wird man hier vorerst nicht finden. Für Leute wiederum, die sich mit Texten schwertun, ist dies jedoch eine wunderbare Hilfe. So werden wir zukünftig auch Texte und somit Inhalte zu Augen bekommen, die wir wegen der Verlegenheit der Autor:innen bislang nicht zu Gesicht bekommen hätten. Somit verspricht ChatGPT sogar einen kulturellen Gewinn. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass wir alle den Umgang mit ChatGPT noch aushandeln müssen. Wer nach wie vor gute Texte schreiben will, kann das durchaus mithilfe des KI-Tool machen, sofern er einen korrekten Umgang mit den vielfachen Schwachstellen entwickelt hat. Stichwort Quellen- und Fehlerkontrolle sowie Originalität.


Letztendlich darf man nicht glauben, dass eine KI das Schreiben von guten Texten einfacher macht – sondern bestenfalls schneller. Autos haben mal Kutschen ersetzt. Wer verlernt hat, sich auf den Straßen auszukennen, ist zwar irgendwohin schneller hingekommen – nur nicht unbedingt dahin, wo er hinmusste.

P.S.: Dieser Text wurde nicht von ChatGPT geschrieben.

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